22. Juli 2021

Baustelle des Monats Juli/August

Seit März läuft auf dem Areal der Spital Thurgau AG in Frauenfeld der Rückbau des 62 Meter hohen Bettenturms. Eine Herkulesaufgabe: Stück für Stück und Mulde für Mulde muss mit einem riesigen Kran nach unten transportiert werden. Kein Brocken darf herunterfallen und keine Stromleitung vergessen gehen, denn nebenan und unten dran ist das neue Kantonsspital Frauenfeld im Vollbetrieb. Der Bettenturm, im Jahr 1974 als architektonisches Meisterwerk gefeiert, stellt die Rückbau-Spezialisten jeden Tag vor neue Herausforderungen.  


 
„Oben brechen wir ab, unten bleibt das Spital voll in Betrieb“, stellt Stefan Geiges, Patron der Geiges AG bereits zu Beginn des Baustellenrundgangs klar. „Das ist die grösste Herausforderung“, denn ein Teilrückbau ist deutlich anspruchsvoller als ein Vollrückbau. Die untersten drei Stockwerke, „Elefantenfuss“ genannt, sollen nämlich erhalten bleiben. „Alles obendran kommt weg“, so Geiges.  

Aufwendige Abkoppelung der obersten 12 Stockwerke 

Bevor der Rückbau beginnen konnte, musste der obere Teil vom unteren abgetrennt werden. Das betraf sämtliche Elektroinstallationen, die Lifte, die Wasserleitungen. Der 4. Stock, das Geschoss D, musste komplett vom unteren Teil losgekoppelt und wasserdicht gemacht werden. Das betraf auch die Liftschächte und Rohrleitungen. Denn: „Wenn es von oben in die offenen Rohrleitungen regnet, dann funktioniert der Betrieb unten auch nicht mehr“, so Geiges. Die Liftschächte von Bettenlifte und Personenlifte wurden zugemauert, und unten wurden neue Lifte eingebaut. Erst dann konnte der eigentliche Rückbau mit der Entkernung des Gebäudes starten. 

Asbest in Rohren und Plattenkleber 

Spezialisten entfernten unter Schutzkleidung in jedem Stockwerk asbesthaltige Rohre und in den Nassräumen die Klebstoffe der Plättli. Dann kamen Türen, Fenster, Einbaumöbel und die herabgehängten Decken dran. 40 Tonnen Material kamen so beim Entkernen pro Stockwerk zusammen. Ein Grossteil wird vorsortiert. Die Mulden gelangen auf Wägeli zum Podest am Rande und werden mit dem Kran heruntergehoben 
 

Zwei Hydraulikbagger füllen zusammen Mulde um Mulde.

Statische Herausforderung bei überhängenden Geschossen 

Im März konnte schliesslich der Rückbau der statisch tragenden Bauteile beginnen. „Die Arbeit Job begann mit einer grossen Herausforderung“, erzählt Geiges. Die oberen drei Stockwerke waren 4 Meter überhängend. Wie also Rückbauen, wenn die Statik stabil bleiben muss und kein Gebäudeteil herunterfallen darf? Statiker Martin Oswald und Bauingenieur Samuel Herzog von der Ernst Herzog AG präsentierten alsbald eine Lösung: Mit einem erheblichen Aufwand wurden in den alten Bau unterhalb des Überhangs zwei grosse Stahlträger eingefahren. Darauf wurde ein Gerüst errichtet, und so wurde es möglich, die oberen Stockwerke nach und nach zu zerlegen und in Stücken zu je 6 Tonnen Gewicht mit dem Kran nach unten zu befördern. Ein wichtiger Schritt war geschafft. 
 
Betonfassade schneiden im 12. Stock 

Mit Sägen und Seilen wurde der Beton vor Ort von Betontrenn-Experten der Firma Stutz in maximal 6 Tonnen schwere Stücke zerlegt. Besonders aufwendig dabei: Die Sicherungsarbeiten der zu schneidenden Elemente, bis sie sicher am Kran hängen. „Wir spriessen die Decken, bohren viele tausend Mal und setzen Schrauben ein, damit es zwischendurch hält für den Rückbau“, erklärt Geiges das Vorgehen. Dabei muss jede Wand speziell betrachtet werden. Bei der sechs Meter hohen Betondecke über dem alten Vortragsaal und der Kapelle im 12. Stock war der Deckenrückbau aufgrund der Überhöhen nochmals aufwendiger. „Die ersten drei Stockwerke mussten wir fast komplett schneiden, aus statischen Gründen und wegen der Sicherheit“, so Geiges. Die Betontrennarbeiten werden der Firma Stutz AG ausgeführt. 
 
Instabile Beton-Elemente 

Nach und nach sind so die geschnittenen in 6 Tonnen-Teile portionierten Elemente mit dem Kran nach unten transportiert worden. Unter den drei Geschossen aus Massivbeton warten die nachfolgenden, die vornehmlich im Elementbau erstellt worden sind. Ab hier setzt Geiges zwei Hydraulikbagger für den Abbruch in luftiger Höhe ein. Einen davon mit einer eigens dafür angefertigten Beton-Beisszange. Mit grosser Gewalt beisst sich diese durch bis zu 20 Zentimeter massive Wände. Die eingelegten Eisen liegen wie gekochte und zerschnittene Spaghetti auf dem Boden. So arbeitet sich der Maschinist bis ca. 30 Zentimeter zur Fassade hin vor, während sein Kollege mit dem anderen Bagger Mulde für Mulde füllt. Ab hier müssen die Teile aus Sicherheitsgründen wieder am Stück geschnitten nach unten geführt werden. 


Auf seine Mitarbeiter kann er sich verlassen: Stefan Geiges, Geschäftführer der Geiges AG. 

Aber auch der Rückbau der Beton-Elemente hat seine Tücken, wie die Bauarbeiter rasch bemerkten. „Es sind Kastenelemente, also nicht nur aussen am Gebäude, sondern auch bei den Zwischenwänden“, erklärt Geiges. Das Problem dabei: „Sobald der massive Teil mit Überhang weggeschnitten worden war, merkten wir, dass die Elemente sehr instabil sind.“ Daher wird mit äusserster Vorsicht daran gearbeitet. 

Risikoabschätzung und SUVA-Konzept 

Vorsicht ist sowieso oberstes Gebot auf dieser ungewöhnlichen Baustelle. Man darf sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn hier auch nur ein Brocken auf das Dach des bereits im Betrieb stehenden Spitals herunterfallen würde. Erst nach einer umfassenden Risikoabschätzung und einem ausgefeilten SUVA-Konzept durften die Rückbauarbeiten überhaupt aufgenommen werden. Während Geiges erzählt, zeigt er Sicherheitsschemas, auf denen genau eingezeichnet sind, wo sich auf der Baustelle Personen bewegen dürfen, wo die Mulden zu stehen kommen und wo die Bagger fahren dürfen. Unter jedem Stockwerk, auf dem die schweren Maschinen stehen, werden drei Stockwerke mit Stützen verstärkt. 500 Stück sind es pro Stockwerk. Sie alle werden von Hand montiert und später wieder abgebaut. Die Liftschächte, alte Waschabwürfe und leere Steigschächte müssen in jedem Stockwerk immer wieder neu abgesperrt werden. Die Sicherheit bleibt auch hier das oberste Gebot. Zumal sich in unmittelbarer Nähe auch ein Helikopter-Landeplatz befindet.  Wenn der Helikopter fliegt, steht der Kran still.  

Arbeiten unter strengen Auflagen 

Auch Vibrationen von der Baustelle stören den Spitalbetrieb und sorgen regelmässig für Diskussionen mit der Spital Thurgau AG. Die Auflagen sind streng, und manchmal begegnet den Bauarbeitern eine gewisse Verständnislosigkeit für ihre Arbeit. Mühsam sei das, sagt Geiges, bei allem Verständnis für den Spitalbetrieb. Ende August sollte der Rückbau gemäss Plan fertig sein. Vermutlich wird das nicht ganz reichen. „Bei den oberen Stockwerken haben wir länger gebraucht, als budgetiert. Und dies vor allem, weil die Sicherheit jederzeit gewährleistet werden soll.“ Montag bis Freitag von 7 bis 18 Uhr darf auf der Baustelle Bettenturm gearbeitet werden.  

Ein guter Polier ist viel wert 

Zuweilen ist auch das Unternehmen Geiges AG am Anschlag: 15 bis 20 Mitarbeiter sind auf der Baustelle Bettenturm im Einsatz. „Unsere besten Mitarbeiter und Maschinen stehen hier im Einsatz, was es bisweilen anspruchsvoll mache, andere Aufträge ebenfalls wahrzunehmen“, erzählt der Chef. Wie gut, dass er sich vor Ort auf seine Fachkräfte verlassen kann. Die Maschinisten arbeiten weitgehend selbständig, und für seinen Polier findet Stefan Geiges nur lobende Worte: „Mein Polier Dani Gentsch ist ein Organisationsgenie. Zusammen mit dem Team von Samuel Herzog und dem Statiker trägt er die Verantwortung auf der Baustelle hier. Das sind unsere wahren Helden, denen wir Sorge tragen müssen.“ Gut laufe auch die Zusammenarbeit mit der Firma Steiner, die hier als Generalunternehmerin die Gesamtverantwortung trägt.  


Das aufwendigste am Rückbau sind die ständig neu notwendigen Sicherungsarbeiten. 

Recycling ja, aber nicht vor Ort  

Im Hinblick auf die 240 Tonnen Material, die beim Rückbau des Bettenturms zusammenkommen, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Recycling. „Da das neue Spital ja bereits vorgängig erstellt werden musste, wird das Material nicht mehr dafür eingesetzt werden können“, erklärt Geiges. „Gerne hätten wir die Türen und die Einbaumöbel zur Weiterverwendung ausgeschrieben“, erzählt er. Aber auf dieser vielseiten und komplexen Baustelle ist eine Selbstabholung aus verständlichen Gründen kein Thema. Jedes rückgebaute Teil muss aufwendig über den Kran heruntergelassen werden. Dazu muss in luftiger Höhe jederzeit die Sicherheit aller Personen auf der Baustelle gewährleistet sein. Somit entschied man sich mit Bedauern, eine durchgreifende Recycling-Lösung nicht auf die Spitze zu treiben. Gleichwohl wird der Beton anderswo fast vollständig weiterverwendet – etwa für Leichtschüttungen auf Dächern. So könne doch immerhin 90 bis 95 Prozent des Materials des legendären Bettenturms wiederverwendet werden. 

 

Text: Anita Bucher 
Bilder: zvg  

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