23. Juli 2020

Baustelle des Monats: A9 - Die Autobahn der Zukunft im Oberwallis

31,8 Kilometer – so lang wird die Strecke der Autobahn A9 zwischen Siders und Brig dereinst sein, wenn sie fertig gestellt ist. Sie gehört zu den letzten Kilometern des Schweizer Nationalstrassennetzes, die noch zu bauen sind. Im Rhonetal ist der Platz eng, und die geologischen Verhältnisse ändern immer wieder. Das Projekt Autobahn A9 ist komplex und gross, auch deshalb, weil rund 50% der Strecke aus Tunneln oder gedeckten Einschnitten besteht. Auf Reportage mit Martin Hutter, Chef Amt für Nationalstrassenbau Kanton Wallis.

Wie eine Lebensader liegt die Rhone in derTalsohle. Neben ihr rauscht der Verkehr auf der stark befahrenen Kantonsstrasse vorbei.Von Beschaulichkeit keine Spur. Aber bald wird alles anders hier im Oberwallis. Zum Glück. Dafür stehen auf den verschiedenen Baustellen, die dereinst alle Teilstücke der Autobahn A9 zwischen Siders und Brig verbinden soll, bis zu 200 Bauleute im Einsatz. Den Überblick hat Martin Hutter, Amtschef Nationalstrassen Kanton Wallis. Er und seine Mitarbeitenden sind regelmässig vor Ort bei den Bauarbeitern und überwachen die Baufortschritte. Die gewaltigen Tunnelbau-Projekte benötigen viel Zeit und Geld. Und sie müssen einen hohen Ausbaustandard erfüllen. Denn die Vorschriften und Auflagen für Autobahnprojekte in der Schweiz sind sehr umfangreich. Warum erklärt mir Martin Hutter bei einer Besichtigung vor Ort.

Tunnel Visp Nord

Als erstes besuchen wir die Tunnelröhre Nord im Tunnel Visp. Dieser rund 2.6 Kilometer Tunnel sieht für meine Augen bereits fertig aus, eröffnet wird er aber erst im Frühjahr 2022. Warum bloss? «Diese Frage stellen mir viele», sagt Hutter. Seine Antwort darauf: «Sicherheit hat höchste Priorität. Derzeit findet im Tunnel Nord der Einbau der Betriebs- und Sicherheitsausrüstung (BSA) statt» Die Auflagen des Bundes dafür sind herausfordernd und umfangreich. Während wir zuschauen wie ein Elektroteam damit beschäftigt ist, LED-Leuchten zu montieren macht mich Hutter auf verschiedene Eigenheiten des Tunnels aufmerksam: Das Trottoir, das mit einem speziellen Antirutsch-Belag versehen ist, die Ausstattung der SOS-Nische mit ihren Alarmmeldesystemen und den Notrufsäulen, das Lüftungssystem mit den Klappen, die nur im Falle eines Ereignisses zum Tragen kommen. Es gibt so viel, das beim Betrieb funktionieren muss, damit ein Unfall im Tunnel nicht zur Katastrophe werden kann. Ein ganzes Team von Spezialisten der (BSA) ist damit beschäftigt den Tunnel so weit wie möglich abzusichern. «Die umfassenden Sicherheitstests und ihre Auswertung dauern fast ein Jahr», erklärt Hutter nüchtern, während wir durch einen Verbindungsstollen zu Fuss in die benachbarte Tunnelröhre Süd gelangen.

Aus dem Vispertaltunnel wird ein Autobahntunnel

Dieser über 30jährige Tunnel der Kantonsstrasse führte den Verkehr bis vor kurzem in beide Richtungen jeweils einstreifig und diese diente als Umfahrung für Visp in Richtung der Vispertäler. Jetzt wird er während 4,5 Jahren komplett saniert und zum Autobahntunnel aufgerüstet. Dazu wurde er als erstes in den Rohbau zurückversetzt (jedoch ohne Abbruch des Innengewölbes) und muss schliesslich Bau- und Sicherheitstechnisch den heutigen Auflagen entsprechend aufgerüstet werden. Vor Ort ist derzeit ein Teamder Diamantbohr SA damit beschäftigt, in regelmässigen Abständen Raum für den nachträglichen Lüftungsklappeneinbau in die Zwischendecke aus Beton zu schneiden. Nach der Eröffnung der Südumfahrung Mitte 2024 wird die Verkehrsführung deutlich verbessert sein: So kann die Autobahn im Tunnel künftig zweispurig befahren werden und ein zusätzlicher kleiner Überwurfstunnel, der direkt in die Visper Nordröhre mündet, macht eine direkte Anfahrt aus dem Süden ebenfalls möglich. (Die Teileröffnung dieser Verbindung ist für das Frühjahr 2022 geplant). Was auf dem Papierplan eine wenige Zentimeter lange Schlaufe ist, ist in Wirklichkeit ein Riesenaufwand. Rund 1100 Meter lang wird der kleine gebogene Tunnel, der es künftig möglich macht, Visp nun auch direkt aus dem Süden zu umfahren. Er führt über die beiden neuen Tunnelröhren Nord und Süd hinweg, wo er eine Schleife macht und den Höhenunterschied ausgleicht, bevor die beiden Tunnelröhren schliesslich Richtung Sitten zusammenführen. Planerisch und baulich ein absolutes Meisterwerk, wenn man bedenkt, dass hier eines Tages der Verkehr mit 80 Stundenkilometer durchfahren wird.

Naturasbest in der neuen Zufahrt zur Südröhre

Wir wenden unser Auto und nähern uns der Baustelle Südröhre Visp Verzweigung II bis Chatzhüs. Dieser neue kleine Tunnel wird den bisherigen Kantonsstrassentunnel in Richtung Brig verlängern. Er ist bereits zu 90% fertiggestellt, muss jedoch an der Verzweigungsstelle noch verbreitert werden. Wir durchfahren den ersten Teil des Tunnels und müssen bald darauf ein Rolltor passieren. Damit die Belüftung der Baustelle funktioniert wird sie im Tunnelinnern abgeschottet. Ab hier sind Schutzmasken obligatorisch. – Echt jetzt? Martin Hutter nickt. Das hier gesprengte und ausgebrochene Material enthält gesundheitlich gefährlichen Naturasbest und muss auf eine Interstoffdeponie gebracht werden. Felsanker, Netze und Spritzbeton mit Stahlfasern sichern die Baustelle, auf welcher ein hydraulischer Bagger einen 4-achsigen Lastwagen nach dem anderen befüllt.

2400 Ortsbetonpfähle in Raron

Weiter geht’s zur nächsten Baustelle der Autobahn A9. Wir fahren Richtung Siders und erreichen in ein paar Minuten Raron. Die Autobahn wird das Dorf unmittelbar neben der Bahnlinie passieren. Um Raron vor Verkehr und Lärm zu schützen, entsteht hier ein gedeckter Einschnitt bzw. Tagbautunnel von knapp 1,5 km Länge. Rund 2400 Bohrpfähle wurden hier innert zwei Jahren mit grossen und schweren Bohrgeräten in den Boden gedreht. Dazu wurde die Baugrubensicherung erstellt. Jeder Bohrpfahl hat einen Durchmesser von rund 1,30m. Die Pfähle sichern auf beiden Seiten die Baugrube und ragen über 20 Meter in den Boden hinein. Leicht versetzt stabilisieren sie sich gegenseitig und bilden eine überschnittene Bohrpfahlwand, welche allfällige Setzung an der Oberfläche stark reduziert. Nach dem Absenken des Grundwassers innerhalb der Baugrube können der Baugrubenaushub und die späteren Betonarbeiten ausgeführt werden. Derzeit fehlen dafür aber die Aussteifungen, d.h. die quer liegenden Stahlverstrebungen, die per Schiff aus China angeliefert werden. Sie dienen als temporäre Aussteifung, um die Baugrubensicherung links und rechts, zu stabilisieren, damit diese die anstehenden Erddrücke aufnehmen kann. Die ausbetonierten und teilweise armierten Bohrpfähle werden von oben her abgefräst und werden für das Auflager der Tunneldecke, als Riegel ausbetoniert. Bei der Ein- und Ausfahrt in den Tagbautunnel wird zudem westlich und östlich eine «Wanne» erstellt.

Tunnel Riedberg – rund 25 cm Vortrieb pro Tag

Wir parkieren vor der Einfahrt zum Tunnel Riedberg. Hier steht ein 2-armiger Bohrjumbo mit montierten Bohrlafetten und einem Ladekorb. Da hier das Ausbruchmaterial sehr lose ist, wird beim Ausbruch mit einemvorauseilenden Rohrschirm gearbeitet. Vor Ort kommen wir mit dem Mineur und örtlichen Vorarbeiter José Manuel Alves Castelo Dias ins Gespräch. «Alles läuft nach Plan», bestätigt er. Etappenweise und Schicht für Schicht trägt unter dem Rohrschirm der hydraulische Bagger das Material ab. Die Ortsbrust sowie der ausgebrochene Tunnel wird jeweils mit armiertem Spritzbeton und Ankern gesichert. Nach rund 6 m Vortrieb erfolgt der Einbau der Schalung, um die Ausbruchsicherung zu betonieren. Die schweren Schalungselemente können nur maschinell bewegt werden. Eine Riesenarbeit bis sie montiert sind und ein weiterer Betonring erstellt werden kann. Etwa 25 Zentimeter Vortrieb schaffen die Tunnelbauer so Tag für Tag in diesem Lockergestein. «Ich arbeite bereits seit Februar 2018 an diesem Tunnel», erzählt mir Alves Castelo Dias. «Die beiden Tunnelröhren sind nun zu 90% respektive 75% fertig ausgebrochen. Diesen Herbst erwarten wir den Durchschlag in der Nordröhre» erklärt Hutter.

Naturschutzgebiet Pfynwald

Als letzte Etappe des Baus der Autobahn A9 im Oberwallis wird dereinst der geplante Tunnel Susten und der gedeckte Einschnitt Pfyn durch das Naturschutzgebiet im Pfynwald anstehen. Das Projekt ist umstritten. Trotzdem sei diese Linienführung die optimale. «Sie kann die Anforderungen der Natur am besten integrieren», so Hutter. «Wir sind uns der grossen Verantwortung gegenüber der Umwelt bewusst», ergänzt er und macht auf die Ausgleichsmassnahmen aufmerksam. Für jedes Bauprojekt wird die verloren gegangene Fläche mittels Ersatz- und Wiederherstellungsmassnahmen kompensiert. «So hat sich die Landschaft entlang der Kantonsstrasse zwischen Gampel und Raron in den letzten Jahren bereits stark verändert hat.» Ehemaliges Ackerland wurde in ein Feuchtgebiet zurückverwandelt, zahlreiche Sumpfgebiete, Wiesen und Hecken für Kleinstlebewesen und Pflanzen wurden wieder angelegt. Auch seltene Vögel seien bereits beobachtet worden, bestätigt Hutter zufrieden. «Nebst dem, dass die Autobahn A9 das Wallis verbindet, ist die Autobahn für uns Oberwalliser eine Umfahrungsstrasse», schliesst Hutter unsere Baustellenreportage. «Alle haben etwas davon: Die Dörfer und die Menschen, die hier leben genauso wie die Touristen, die Wirtschaft und eben auch die Natur.» Und dafür lohnt sich der riesige Aufwand auf jeden Fall, da ist er fest überzeugt.

 

Text und Fotos: Anita Bucher

Persönlich, rasch und direkt

Sie wollen wissen, wofür wir uns engagieren? Abonnieren Sie unseren Newsletter! Bei Fragen steht Ihnen die Geschäftsstelle von Baukader Schweiz zur Verfügung.

Baukader in Ihrer Nähe

Unsere Sektionen bilden das regionale Netzwerk, fördern die Geselligkeit und stehen für Fragen zur Verfügung.

Newsletter abonnieren