22. April 2021

Baustelle des Monats April

Über zwei Kilometer lang ist die Baustelle Umfahrung Wilderswil. 35 Bauarbeiter, vier Poliere, vier Bauführer und ein Baustellenchef geben ihr Bestes um einen 568 Meter langen Tagbautunnel, zwei Brücken, Dammkonstruktionen, einen Kreisel, Strassenumlegungen und diverse Hochwasserschutzmassnahmen zu realisieren. 

Ein Graben zieht sich mitten durch Wilderswil. Es ist der Einschnitt für den 568 Meter langen Tagbautunnel der neuen Umfahrung, die das Dorf Ende 2023 vom Durchgangsverkehr befreien soll. Momentan ist aber noch das Gegenteil der Fall. Die langgezogene Baustelle liegt zentral im Dorf und generiert enge Verhältnisse, Mehrverkehr und Lärm. Eine Passarelle zwischen Kindergarten und Schulhaus stellt sicher, dass die Kinder ihren Schulweg trotz Bauarbeiten bewältigen können. Der arg dezimierte Pausenplatz wird durch eine Bretterwand von der Tunnelbaustelle abgrenzt. Die Erschwernisse sollen für die Bevölkerung von Wilderswil möglichst klein gehalten werden. Gegenüber vom Bahnhof wird an diesem Donnerstag, 11. März gerade betoniert. «Das ist der letzte Deckel vor der erneuten Verkehrsumlegung», erklärt der verantwortliche Bauführer Dominik Herzig. In den nächsten Tagen ist man hier einen grossen Schritt weiter. Ein wichtiger Abschnitt im Grossprojekt Umfahrung Wilderswil ist geschafft. 

Deckelbauweise für eine kürzere Bauzeit 

Während ich mit Herzig die Baugrube besichtige, passieren wir schöne alte Holzhäuser, die dicht an dicht zum neuen Tunnel stehen. Manch einer hat hier oben vorübergehend seinen Garten aufgeben müssen für den Bau des neuen Tunnels. 703 Bohrpfähle wurden zwischen August 2020 und Februar 2021 von der Ghelma Spezialtiefbau AG in den Boden gebohrt und ausbetoniert. Danach folgte der Voraushub bis auf die Höhe, auf welche die Deckenunterkante des neuen Tunnels zu liegen kam. Die 22 Abschnitte der jeweils 88 bis 100 cm dicken Tunneldecke liegen auf den Bohrpfählen auf und werden durch sie getragen. Erst später wird der Tunnel darunter fertig ausgehoben, die Bodenplatte und Wände betoniert. Bis dahin haben die Anwohner ihreGärten und die Kinder ihren Pausenplatz wieder zurück. Gemäss Bauprogramm sollen die meisten Oberflächen des Tagbautunnels ab Ende 2021 der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung stehen. Währenddessen geht der Untertagebau erst so richtig los. 

Aus dem Aushub wird ein Damm 

Von Süden nach Norden wird der Tunnel sukzessive ausgegraben. «Das Konzept sieht vor, dass wir mit dem Aushub vom Tunnel und Voreinschnitt durch den Tunnel fahren, ohne dass man im Dorf etwas davon mitbekommt.» erklärt mir Herzig. Auch hier hatte man nach der besten Lösung für die lärmgeplagte Bevölkerung gesucht. Vorerst wird der Aushub nach Qualität sortiert und in der Nähe gelagert. Der qualitativ gute Lütschine- Schotter wird später vor Ort zu einem Belagskoffer in den Strassenbelag verbaut. 

Die fertige Umfahrung Wilderswil wird zweimal die Lütschine überqueren und dazwischen dem Bahndamm folgen. Eine Baupiste führt zur ersten Brückenbaustelle nahe der Bahnlinie. Auf der Baustelle der Brücke Nord sieht man bereits auf beiden Seiten die Fundationen auf den Bohrpfählen und die Leergerüste für die Widerlager. Auch die Schalung für die ersten Brückenpfeiler sind bereit gemacht. In Kürze werden sie betoniert. Eine Hilfsbrücke macht den Baustellenverkehr auf beide Seiten der Lütschine möglich. 

Der Tunnel schützt vor Hochwasser 

Im Baulos der ARGE Umfahrung Wilderswil (Frutiger AG, Ghelma AG, Gerber + TroxlerBau AG, Ghelma AG Spezialtiefbau) sind auch Hochwasserschutzmassnahmen im Gebiet der Lütschine vorgesehen. Diese befinden sich entlang der Lütschine im Dorfbereich von Wilderswil. Am Ufer des Flusses ist Christian Reding der zuständige Polier vor Ort. «Wir machen hier die neue Bachverbauung in Blocksatz», erklärt er. «Die Lütschine wird hier künftig auf einer Länge von rund 200 Metern um vier Meter breiter werden als bisher. 

Die neue Bachverbauung im Blocksatz gibt für die Fische zudem viel mehr Versteckmöglichkeiten.» Unweit des Bachbettes zieht eine Betonscheibe meine Aufmerksamkeit auf sich. Was das wohl ist? «Hier wird ein Streichwehr mit Einlaufwerke in den Tunnel entstehen.» – Wie jetzt? Das Wasser soll in den Tunnel? Wirklich? «Ja», bestätigt Herzig. «Der Tunnel wird nicht nur als Verkehrsumfahrung dienen. Bei massivem Hochwasser ist er künftig auch der Abflusskorridor für das überschüssige Wasser.» Christian Reding ergänzt: «Da drüben wird es ein System aus Kippelemente geben, die bei Hochwasser den Einlass zum Einlaufwerk, das zum Tunnel führt, öffnen.» 

Herausforderung Wasserabführung 

Die Abführung von Wasser ist in Wilderswil bereits seit langem ein Dauerthema. Mit der Umfahrung soll denn die Entwässerung desDorfes und die Abführung von Lütschine-Hochwasser endlich umfassend gelöst sein. Für Bauführer Dominik Herzig ist dies das Kniffligste am ganzen Projekt. An zwei Stellen des Tagbautunnels musste ein Düker, einmal fürs Mischabwasser und einmal fürs Regenabwasser eingebaut werden. Dabei wird das Wasser auf der einen Seite des Tunnels hinab und auf der anderen Seite wieder hinaufgeleitet. Funktionieren tut dies, wenn der Auslauf leicht tiefer ist als der Einlauf. «Der Bauablauf war sehr komplex mit den ganzen Leitungen immer im Betrieb», erinnert sich Herzig. 

Skelettfund sorgt für Aufregung 

Unser Baustellenrundgang neigt sich langsam dem Ende zu, als mir der Bauführer noch ein spannendes Detail verrät: Vor kurzem hat eines seiner Teams bei den Untertagsarbeiten in den ersten Tunneletappen zwei männliche Skelette gefunden. Die weissen Knochen mit Schädel seien ziemlich gut erhalten gewesen. «Natürlich haben wir umgehend den kantonsarchäologischen Dienst aufgeboten. Die Leute standen noch am selben Tag auf Platz und nahmen die Knochen mit.» Seine Bauarbeiter durften trotzdem weitergraben. «Die Knochen befanden sich in der Sedimentschicht unter der Tunneldecke, also rund drei Meter unter dem alten Terrain. Man vermutet, dass sich hier ein Friedhof aus dem 7. Jahrhundert befinden könnte», erzählt er. – Es bleibt also spannend, was die nächsten Baggerschaufeln ans Tageslicht befördern werden. 


Kennzahlen zum Projekt Umfahrungsstrasse Wilderswil 

Kosten: ca. 75 Mio. Franken 
Bauzeit: Herbst 2019 bis Sommer 2024 

 

Text und Bilder: Anita Bucher

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