02. Juni 2023

Brückenbau mit dem Helikopter

Im Kanton Graubünden führen kleine, aber für Holzbauer interessante Brücken über die Schluchten und auf die Berge. Der Berg Vilan im Rheintal markiert den Eckpunkt der Prättigauer Bergkette mit wilden Tälern. Die Jäger Holzbau AG aus Vilters erstellte kürzlich in einer atemberaubenden Aktion eine Holzbrücke über das Fatanstobel.

Text: Sue Lüthi
Bilder: Jäger Holzbau AG

Der Wind der Rotoren bündelte sich im Tobel und schlug mit aller Wucht gegen den am Helikopter baumelnden Holzbalken. Wie mit einem Zündholz spielten die Lüfte mit dem 34,5 Meter langen und fast ein Meter hohen Träger am Seil. Die Kräfte forderten den Piloten und seine Flughelfer sowie auch die Monteure der Jäger Holzbau AG. «Da kann man nicht einfach mit der Hand dagegenhalten», sagt Marcel Tanner, der Projektleiter des Holzbauunternehmens aus Vilters (SG).

Und Dario Jäger, der Geschäftsführer, ergänzt: «Der Helikopter war mit seiner Leistung und den 4,5 Tonnen Last am Limit. Er konnte nicht einfach ein paar Zentimeter korrigieren. Bereits eine kleine Steuerung des Piloten versetzte den ganzen Balken ruckartig.»

Der Neubau der Brücke über das Fatanstobel wurde minutiös geplant. Die Brücke ist ein Teil der neuen, vier Kilometer langen Güterstrasse vom Dorf Fanas im Prättigau (GR) auf den Berg. Sie gehört zur Melioration und ist für Fahrzeuge nur zur Bewirtschaftung zugelassen. Die Brücke führt über das Fatanstobel, einen Einschnitt zwischen den Alpwiesen auf 1400 Meter über Meer, felsig, dazwischen mit Bäumen und Büschen bewachsen.

Während der Vorarbeiten der Strasse rutschten die Böschungen ab und die Brückenkonsolen mussten dem Gelände entsprechend verschoben werden. Wegen der abschüssigen Situation beschrieb der Holzbauingenieur eine möglichst vorgefertigte Brücke aus Holz, die vor Ort versetzt werden konnte.

Sprengwerk aus Lärchenholz
Die Brücke ist ein Sprengwerksystem aus Lärchenholz mit einer vier Meter breiten Fahrbahn in einer Holz-Beton-Verbundbauweise. Vier Sprengwerkstiele sind mit Stahlbolzen gelenkig in die seitlichen Stahlkonsolen eingeführt. Darauf liegen vier Brettschichtholzträger, auf welche vorfabrizierte Betonelemente gelegt wurden. Anschliessend folgte ein Überbeton zur Verbindung der Konstruktion. Die Spannweite der Brücke misst 34,5 Meter. Um die Dauerhaftigkeit der Holzbauteile zu erhöhen, wurde die Brettschichtholzkonstruktion in Lärche ausgeführt. Das Holz besitzt gute Festigkeitseigenschaften und ist witterungsresistent. Insgesamt 43 Kubikmeter Lärchenholz haben die Spezialisten der Jäger Holzbau AG zu Trägern verarbeiten lassen. Geplant war, alle Stahlteile im Vorfeld anzubringen, doch damit übertraten die Hersteller das Gewicht. Um die vier langen Brückenträger montieren zu können, musste der grösste Schwerlasthelikopter aufgeboten werden. Er kann 4,5 Tonnen fliegen. Die fertigen Träger waren jedoch 4,6 Tonnen schwer. «So mussten wir mit den Stahlteilen das Gewicht optimieren und haben nur etwa 10 statt 34 Elemente angebracht», erklärt Holzbautechniker Marcel Tanner. Schlussendlich wogen die Fahrbahnträger 4330 Kilogramm. «Das war das Maximum, denn die Wärme wirkt sich auf die Leistung eines Helikopters aus.» Wie viel ein Helikopter transportieren kann, hängt von der Luftdichte ab. Diese wird aus der Temperatur und dem Luftdruck errechnet. Gemäss der Firma Rotex Helicopter AG können als Faustregel pro zehn Grad höherer Temperatur 400 Kilogramm angenommen werden.

Lehrreiche Montage mit dem Helikopter
Am Tag X herrschten die idealen Verhältnisse. Die Brückenauflager waren fertig betoniert und die acht Stahlkonsolen angebracht. Die Jäger Holzbau AG war mit vier Mitarbeitern vor Ort, der Pilot hatte vier Flughelfer am Boden plus einen Mann am Lagerplatz, um die Träger am Helikopter anzuhängen. Zwei Helikopter waren bestellt, einer für die Sprengwerke und der Gigant für die langen Binder. Um die schrägen Sprengwerke an den richtigen Ort zu bringen, hatten die Holzbauer Lehren gebaut. Pro Sprengwerk mussten zwei Passbolzen gleichzeitig eingefädelt werden. Das Vorgehen änderte sich im Prozess: Der Pilot flog die Sprengwerke ein und die Leute am Boden hängten die beiden Passbolzen in voreingestellte Spannsets ein. Ein improvisiert platzierter Geissfuss half nachher bei der Anpassung.

Die Männer – und eine Frau – konnten mit den Spanngurten die Holzträger in ihrer Schräglage fixieren, bis die horizontalen Träger aufgelegt wurden. Mit jedem Element lernten die Monteure.

Für die schwereren Binder wechselte die Helikopterklasse. Der Pilot des «Kamov» drehte die langen Fahrbahnträger mit Hilfe eines Baumes im Tobel in Position, doch sein eigener Abwind verursachte viel Bewegung und die Feinjustierung war mit dem maximalen Gewicht schwierig. «Die Luftbewegungen und das Gewicht waren unglaublich, es brauchte ein paar Anläufe», sagt Dario Jäger. «In der Luft bog es die Binder etwa 20 Zentimeter durch. Zudem wirbelte der Abwind auch Geäst im Tobel umher und verursachte zusätzliche Gefahr.»

Sicherung ist das oberste Gebot
Bedenken musste man auch, dass vor der Brückenlegung die Bergseite schwer zugänglich war. Als ein Träger lag, war die Verlockung gross, schnell hinüberzugehen. Doch zu jeder Zeit mussten die Zimmerleute die Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigen. Während der Montage konnte nicht mit Absperrungen und Netzen gesichert werden. Die Sicherung lag bei jeder Person selbst. Erst als die Holzträger lagen, erstellten die Arbeiter Geländer und ein Gerüst. Schlussendlich dauerte die Helikopteraktion etwa zwei Stunden. «Eine solche Erfahrung ist sehr wertvoll für spätere Aufträge», sagt Marcel Tanner. Und Dario Jäger ergänzt: «Uns gefallen solche Arbeiten, sie sind abwechslungsreich und spannend.»

Übrigens: Vor fast hundert Jahren baute der Zimmermeister Richard Coray (1869–1946) ganz in der Nähe im parallel liegenden wilden Salginatobel ein 90 Meter hohes Lehrgerüst aus dem Holz der Umgebung. Es diente dem Bau der Salginatobelbrücke des Architekten Robert Maillart. Das schlichte Stahlbetonwerk aus dem Jahr 1930 ist zum Weltmonument der Ingenieurskunst ernannt worden und Richard Corays Lehrgerüste gelten bis heute als technische und handwerkliche Meisterwerke.

 

NEUBAU FATANSTOBELBRÜCKE
Realisierung: September 2022
Bauherrschaft: Meliorationsgenossenschaft Fanas, Schiers (GR)
Bauherrenvertretung: Donatsch + Partner, Ingenieure für Geomatik + Bau,
Landquart (GR)
Holzbauingenieur: Bänziger Partner AG, Chur
Holzbauunternehmen: Jäger Holzbau AG, Vilters (SG)
Leimholzbau: Hüsser Holzleimbau AG, Bremgarten (AG)
Transport: Rotex Helicopter AG / Heliswiss International, Balzers (FL)
Kosten Holzbauarbeiten: CHF 320 000.– inkl. Transport und Helikopterflüge
Kosten ganze Melioration (Strasse und Brücke): CHF 7 Mio.

JÄGER HOLZBAU AG
Dario Jäger ist Zimmermann durch und durch. 2008 übernahm er den Familienbetrieb,
firmierte sie zur Jäger Holzbau AG und zügelte 2012 in die Ebene nach Vilters (SG)
nahe Sargans. Das Familienunternehmen inklusive Sägerei und Schreinerei war fast
hundert Jahre im höher gelegenen Vättis im Taminatal beheimatet gewesen. Der heute
43-jährige Holzbau-Techniker und -Meister legte die angegliederten Bereiche wieder ab
und konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen. Er führt das Unternehmen in vierter
Generation und beschäftigt 22 Mitarbeitende, davon vier Lernende. Schon mehrere
Frauen schlossen bei Jäger die Lehre als Zimmerin ab. jaegerholzbau.ch

 

Bildlegenden:

Der 34,5 Meter lange und 95 Zentimeter hohe Träger ist 4330 Kilogramm schwer – das Maximum an Gewicht, mit dem der «Kamov»-Helikopter fliegen kann.

Am bergseitigen Brückenauflager stehen die Monteure und Flughelfer bereit.

 

MELIORATION
Meliorationen hiessen einst alle Massnahmen, die den Boden verbessern sollten
(melior [lateinisch] = besser). Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff erweitert
und beinhaltete dann auch die Zusammenlegung der über Erbverteilungen
verstückelten Güter und den Erosionsschutz. Heute steht das Wort für die
umfassende Restrukturierung der ländlichen Räume. Besonders in Berg- und
Randregionen haben Meliorationen auch die Aufgabe, die ländlichen Lebensund
Arbeitsbedingungen zu verbessern. Meliorationen werden vom Bund und
den Kantonen organisiert. Die Behörden übernehmen Investitionen und Baukosten,
aber nicht den Unterhalt von Strassen und baulichen Massnahmen.
meliorationen.ch

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